Rede Paris 10 Mai 2001
Originalrede in Französisch

 

Bonjour Mesdames et Messieurs,

mein Name ist René Talbot und ich habe Ihre freundliche Einladung so verstanden, daß sie im Zusammenhang meines Engagements für das "Haus des Eigensinns" in der Tiergartenstr. 4 in Berlin ausgesprochen wurde.

Die erste Idee für das Konzept dieser geplanten Gedenkstätte stammt tatsächlich von mir.

Ganz kurz dazu: Die Tiergartenstr. 4 ist die Adresse des Ortes, von dem die Nazi-spezifischen Greueltaten, schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ausgingen. Dort war die Mordzentrale, wo ab 1939 das systematische, rationalisierte Gaskammermorden geplant und organisiert wurde, das nach dieser Adresse "Aktion T4" genannt wurde. Und, wie Ihnen bekannt sein dürfte, begann das Morden tatsächlich in den Psychiatrien, deren Gefangene in sechs Mordzentren in Deutschland umgebracht wurden, bevor man dann dieses System mitsamt der biologistischen Ideologie, dem Personal und der Technik, 1942 nach Polen verlegte, wo -vielfach vergrößert- in den Vernichtungslagern Ausschwitz, Treblinka, Maydanek, usw., der millionenfache Mord an den europäischen Juden, Sinti und Roma begangen wurde.

Lassen Sie mich nochmals die Tatsache betonen, daß das Morden der Nazis in der Psychiatrie an sogenannten "Irren", "Verrückten", und wie man sie sonst bezeichnen mag seinen Anfang genommen hat. Ich will Ihnen dazu ein paar Zeilen aus einem Brief Max Horkheimers an Theodor Adorno zitieren, der schon im August 1941 sehr genau den Zusammenhang zwischen den Morden in den Psychiatrien und der darauffolgenden Shoah beschreibt: "Die Ermordung der Irren enthält den Schlüssel zum Juden-Pogrom... Daß sie von den Zwecken und Zielen, in deren Dienst das Leben der Heutigen verläuft, nicht genauso gebannt sind, wie die Tüchtigen selbst, macht die Irren zu unheimlichen Zuschauern, die man wegschaffen muß... Wieder und wieder sollte sich erweisen, daß Freiheit nicht möglich ist."

Aber nun zum "Haus des Eigensinns - Museum der Wahnsinnigen Schönheit", das Sie, verehrte Zuhörer, vermutlich am meisten interessieren wird. In der Tiergartenstr. 4, dem Ort und Namensgeber der "Aktion T4", sollen neben der Dokumentation der Tat und dem Erinnern an die Schicksale der Opfer, die künstlerischen Werke von Menschen gezeigt werden, die in der damaligen Psychiatrie gefangengenommen worden waren und als "schizophren", "manisch depressiv", usw. verleumdet wurden. Dazu sollen die Werke der sogenannten Prinzhornsammlung in den Besitz der sozialen Brüder und Schwester der Betroffenen, dem Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener, überführt werden und wechselnde Teile der ca. 6000 Werke umfassenden Sammlung auf etwa 60% der Ausstellungsfläche im "Haus des Eigensinns" gezeigt werden. Das "Haus des Eigensinns" soll von der Berliner Gruppe des Bundesverbandes geführt werden.

Ich selbst bin der Sprecher eines Freundeskreises prominenter Unterstützer des Projektes, dem u.a. auch Dr. Ram Ishay angehört, der zwei Jahre lang Präsident der Weltärztekammer und fast zwanzig Jahre lang der Präsident der israelischen Ärztekammer war. Dem Freundeskreis gehören ebenfalls der Bischof von Berlin und Brandenburg, Prof. Dr. Wolfgang Huber, der Präsident der Sigmund Freud Gesellschaft, Horst Eberhard Richter, und Walter Jens an, der viele Jahre der Präsident der Kunstakademie von Berlin war.

Das Projekt "Haus des Eigensinns" befindet sich augenblicklich noch in der Phase der politischen Durchsetzung und Realisierung. Sollte es unter Ihnen Interessierte geben, werde ich gerne im Anschluß an diese Veranstaltung über den Stand der Bemühungen berichten.

Die "Aktion T4" und die sogenannte Prinzhornsammlung sind inhaltlich folgenschwer miteinander verquickt. Aber dazu später mehr. Zunächst würde ich gerne ein paar Sätze zu dem Wort "Geisteskrankheit" sagen, damit Sie gleich wissen, daß ich den Begriff nicht akzeptiere. Schließlich hängt eine angemessene Rezeption der Werke für "schizophren" erklärter Menschen eng damit zusammen, was unter "Krankheit" und "Gesundheit" verstanden werden soll. Eine angemessene Rezeption fällt deswegen so schwer, weil implizit eine Kritik der menschenverachtenden Verhältnisse der Psychiatrie damit einhergeht, die nicht nur in meinen Augen ein Kerkersystem mit Folterregime ist. Der Ihnen allen wohlbekannte französische Philosoph Michel Foucault hat die wesentlichen Bemerkungen dazu schon 1961 gemacht - ich muß sie Ihnen hier nicht mehr gesondert zitieren.

Der Dreh- und Angelpunkt der Kritik ist dabei der verleumderische und diffamierende Gebrauch solcher Worte wie "Schizophrenie", "manische Depression", "Schwachsinn", usw. Der amerikanische Psychoanalytiker und Psychiater Thomas Szasz hat ihn folgendermaßen prägnant charakterisiert: "Schizophrenie, schreibt Szasz, "ist ein strategisches Etikett, wie es "Jude" im Nazi-Deutschland war. Wenn man Menschen aus der sozialen Ordnung ausgrenzen will, muß man dies vor anderen, aber insbesondere vor einem selbst rechtfertigen. Also entwirft man eine rechtfertigende Redewendung. Dies ist der Punkt, um den es bei all den häßlichen psychiatrischen Vokabeln geht: Sie sind rechtfertigende Redewendungen, eine etikettierende Verpackung für "Müll"; sie bedeuten "nimm ihn weg", " schaff ihn mir aus den Augen", etc. Dies bedeutete das Wort "Jude" in Nazi-Deutschland, gemeint war keine Person mit einer bestimmten religiösen Überzeugung. Es bedeutete "Ungeziefer", "vergas es". Ich fürchte, daß "schizophren" und "sozial kranke Persönlichkeit" und viele andere psychiatrisch diagnostische Fachbegriffe genau den gleichen Sachverhalt bezeichnen; sie bedeuten "menschlicher Abfall", "nimm ihn weg", "schaff ihn mir aus den Augen."

Zitiert aus: "Interview with Thomas Szasz" in The New Physician, 1969.

Mit der Kritik des Gebrauchs der psychiatrischen Worte und der damit legitimierten gewalttätigen Praktiken geht letztlich das Verschwinden des ganzen Begriffs der "Geisteskrankheit" einher, gerade dann, wenn es nicht mehr möglich sein wird, die psychiatrische Begrifflichkeit und die Krankheitseinsicht auf der Seite der Betroffenen mit brachialen Mitteln wie Einsperren, Fixieren und zwangsweiser Drogenverabreichung gegenüber den so Stigmatisierten durchzusetzen.

Psychiatrische Verhältnisse in der Gesellschaft, der therapeutische Staat, sind der Ausgangspunkt für eine kolonialisierende Rezeption der Kunst, der auch die bösgläubig erworbenen Werke internierter Künstler anheimgefallen sind, die unter dem Namen des Nazi-Ideologen Hans Prinzhorn in der Universität Heidelberg okkupiert gehalten werden.

Sie sehen also, es geht um ein ganzes Geflecht ineinander verwobener und verschränkter Begrifflichkeiten, die scharf kontrastieren mit Werten wie Menschenrechten. Im Zentrum stehen die Ausschreitungen eines Ausgrenzungs-, Straf- und Kontrollapparates: der Zwangspsychiatrie.

Lassen Sie mich an dieser Stelle deutlich machen: Allein die Rede vom "kranken" bzw. "gesunden" Geist, mit dem irgendeine Kunst charakterisierbar sei, ist eine Kränkung von Kunst überhaupt. Hans Prinzhorn, nach dem die Sammlung benannt ist, um die es uns hier geht, ist ein wesentlicher Protagonist dieser Verleumdung und Kränkung, die logisch in den brachialen Rassismus, die Naziideologie, führt. Tatsächlich war Hans Prinzhorn ein wesentlicher Wegbereiter des ideologischen Umfeldes, das in Gaskammermassenmorden und "medizinischen" Menschenversuchen seinen konsequenten Höhepunkt fand.

Dies ist ein schwerer Vorwurf, der einer Klärung bedarf. Ich will mit dem einfachsten Teil beginnen, dem Nachweis, daß Hans Prinzhorn ein Nazi-Ideologe war. Um Hans Prinzhorn selbst zu Wort kommen zu lassen, werde ich Ihnen hier lediglich Zitat an Zitat reihen, um meine These zu belegen. Dem "Judenproblem" gegenüber gibt Prinzhorn zu bedenken: "Nur was man vernichten oder versklaven kann, muß Schmähungen erdulden". Der Titel eines seiner Aufsätze lautet: "Gemeinschaft und Führertum. Ansatz einer biozentrischen Gemeinschaftstheorie", von "vollständiger Theorie der Gemeinschaft" und dem "Urbild des Führermenschen" ist an anderer Stelle die Rede. Das "Schicksal dieses prometheischen Führers" , der Hitler für ihn ist, sei es, "innerhalb seiner Gruppe auf Grund neuer Erkenntnisse und Ziele die Gemeinschaft zu zersprangen und den Keim zu einer neuen Gemeinschaftsform zu legen". Und voll Begeisterung: "Sprecht mit allen Menschen vom Nationalsozialismus. Ihr werdet die Art seiner Verbundenheit mit dem deutschen Schicksal sogleich erkennen".

In seinem Buch 'Psychotherapie' noch hatte er die "faschistische Form" einer "Ethik der mächtigen Masse" mit der von ihm negativ bewerteten "amerikanischen" und "bolschewistischen" gleichgesetzt. Von Prinzhorn stammt auch der Entwurf des "Idealbildes" eines Übermenschen Arztes, der imstande sein solle, "der ganzen Gesellschaft ein Wohltäter zu werden." Gegen "die rasend schnelle, in kaum zwei Generationen geschehene Überflutung mit jüdischem Geist" empfiehlt er jedoch statt Kampf eine überzeugendere Selbstdarstellung, nämlich "in Werk und Tat... die dem Judentum unbequemen arischen Eigenwerte auf so hohem Niveau zum Ausdruck zu bringen, daß nur offensichtlich tendenziöse Gehässigkeit noch Angriffspunkte findet".

Für einen vollständigen Überblick der Lingua Tertii Imperii bzw. der Nazi-Sprache von Hans Prinzhorn empfehle ich das Buch von Thomas Röske "Der Arzt als Künstler", dem ich auch die Zitate entnommen habe.

Diese Äußerungen sind eine typische Essenz dessen, was Hans Prinzhorn bekannt gemacht hat: Die Plünderung der künstlerischen Werke psychiatrisierter Menschen für die Gründung eines psychopathologischen Museums. Dabei nutzte er die entrechtete Situation dieser Menschen schamlos aus. Er raubt ihnen, die eingesperrt und entmündigt sind, noch das letzte, was ihnen als Urhebern gehört, ihre künstlerischen Werke. In der selbstverständlichen Arroganz einer kolonialen Macht gelten für sie keine Gesetze mehr. Statt wenigstens ein schriftliches Einverständnis der Vormünder der Psychiatrisierten einzuholen, werden die Werke einfach von den Herrschern in den Kliniken, den Ärzten, beschlagnahmt. In vielen Fällen wird einfach das Abhängigkeitsverhältnis gefangengehaltener Patienten ausgenutzt, um sich die Werke angeblich "schenken" zu lassen. Keine dieser Methoden hat zu einem rechtsgültigen Eigentumsübergang geführt, da es sich um einen bösgläubigen Erwerb gehandelt hat. Eine von dem deutschen Spezialisten in Urheberrechtsfragen Prof. Raue angefertigte Expertise diesen Inhalts wurde inzwischen sogar von dem Ex-Kulturminister Dr. Michael Naumann anerkannt. Diese Tatsache, daß kein rechtsgültiger Eigentumsübergang der Werke der Sammlung an Hans Prinzhorn stattgefunden hat, wird bislang von den Vertretern und Diskutanten von "Kunst und Wahn" einfach nicht zur Kenntnis genommen. Die Psychiatrie versucht, sie konsequent totzuschweigen.

Für Hans Prinzhorn bzw. die Institution, in deren Auftrag er handelt, als auch für die Ärzte, die als Komplizen in vielen anderen Anstalten, die an dem Raubzug beteiligt sind, kommen die Künstler als rechtliche Subjekte nicht vor. Dies zeigt sich auch besonders deutlich an dem Blick, den Prinzhorn auf die Werke in seinem Buch 'Bildnerei der Geisteskranken' dokumentiert. Petra Storch hat diesen Blick im Konzept für das "Haus des Eigensinns - Museum der Wahnsinnigen Schönheit" so beschrieben: "Nun soll die psychiatrische Haltung, welche Prinzhorn den Patienten gegenüber einnimmt, näher betrachtet werden. Diese ist geprägt von kühler Distanz des Beobachters zu seinem Objekt, welches nicht als Mensch interessant ist, sondern als Träger eines forschungsrelevanten psychopathologischen Syndroms. Schon der Stil des Autors macht dies deutlich, dort, wo er z. B. von einem "besonders hübsch(en)"7 Beispiel für das Symptom der Kontamination spricht. Wahnsinn ist für Prinzhorn äquivalent mit autistischer, völlig subjektiver Weltabgewandheit, welche vom Arzt in geradezu zoologischer Manier begutachtet wird. Prinzhorn nähert sich dem Wahnsinn ohne Mitgefühl. Diese Sichtweise degradiert den Wahnsinn zu bloßer somatischer Äußerung, jeglicher Kommunikationscharakter ist ihm von vornherein abgesprochen."

Diese Sichtweise hat Primo Levi am besten mit dem Aquariumblick beschrieben:

In seinem Buch "Ist das ein Mensch" beschreibt Primo Levi, wie er von Dr. Pannwitz, Chef der chemischen Abteilung von Ausschwitz, ausgefragt wird. Levi war Chemiker von Beruf. Eine Arbeit in der chemischen Abteilung könnte ihn vielleicht vor der Vernichtung bewahren. Als er in seiner KZ-Uniform auf der anderen Seite des Schreibtisches stand, sah Dr. Pannwitz ihn an, als blicke er auf einen Fisch im Aquarium. So war Primo Levi noch nie von jemandem angesehen worden - und er hat die Bedeutung dieses Blickes nie vergessen.

Eine Geschichte der moralischen Phantasie unserer Zeit hätte die Entstehungsgeschichte dieses "Aquarium-Blickes" des Dr. Pannwitz zu liefern. Hier fand eine Begegnung zweier Menschen statt, als sei sie die zweier Gattungen.

Hans Prinzhorns Sichtweise ist begründet in seinem biologistischen Modell des Geistes, das die medizinisch-psychiatrische Herrschaft manifestieren soll und damit eine rassistisch-psychiatrische Ideologisierung von Kunst als Akt der Kolonialisierung von "Wahnsinn" zum Ziel hat. Das ideologische Konzept findet seinen philosophischen Kontext in einer biologistisch verengten Interpretation von Nietzsche. Ich zitiere Hans Prinzhorn aus seinem Buch 'Nietzsche und das XX.Jahrhundert' . Auf Seite 38 dieser Schrift heißt es in der Frage des Übergangs von der statischen zur dynamischen Auffassung vom Menschen: "So bleibt nichts übrig von der Person als ein Kreuzpunkt zahlreicher wirkender Instanzen, unter denen am wichtigsten jene Kräfte sind, die aus dem Blut auf dem Erbwege von fernher sich noch durchsetzen, während das Individuum sich einredet, aus bewußten Motiven zu handeln." Und auf Seite 40: "Wenn wirklich das Leben in der Natur und Geschichte sein großes Geheimnis preisgegeben hatte - wenn wirklich das einzig Bleibende im bunten Wechsel der "Kampf ums Dasein", das "Recht des Stärkeren" war, dann mußte es doch möglich sein, aus solcher Erkenntnis endlich einmal radikal die Folgerung zu ziehen und die Entwicklung des Menschen planvoll zu lenken, wie der Pflanzen- und Tierzüchter seine Rassen in geduldiger Bemühung planvoll züchtet. Aus dieser großen Wendung Nietzsches zum Propheten eines neuen, höheren Menschentums entspringt abermals ein ganz tiefer Impuls, sich der seelischen Untergründe, der Antriebe, der wahren Ziele des menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns zu bemächtigen." Auf Seite 59 dann der Clou: "Moral ist eine Wichtigtuerei des Menschen vor der Natur".

Was bleibt einem da noch anderes als zu kommentieren: Wohlan zum munteren Sichten und Vernichten, Hans Prinzhorn?

Ich will nun auf die Folgen einer Pathologisierung von Kunst eingehen. Hans Prinzhorn hat sie in ihrer radikalisierten Form nicht mehr miterlebt, da er noch vor dem Regierungsantritt der Nazis 1933 verstarb. Dennoch steht die Radikalisierung völlig in der Logik seiner Auffassungen einer Pathologisierung von Kunst

Prof. Carl Schneider, der der Nachfolger des früheren Vorgesetzten Prinzhorns war, entkleidete die pathologisierende Logik von Hans Prinzhorn nur konsequent ihres romantisierenden "Ballast-Anteils", und schon hatte er damit sein Modell der angeblich "entarteten" Kunst in der Hand. Man kann dies nachlesen in Carl Schneiders Beitrag zum Archiv der Psychiatrie 1939 (Band 110): "Entartete Kunst und Irrenkunst".

Dieses Modell war hilfreich, um zweierlei zu erreichen:

a) Es diente zur Durchsetzung der Ideologie eines angeblich "entarteten" Menschen. Denn wenn die Werke von Psychiatrisierten als Referenz zum Nachweis der "Entartetheit" von moderner Kunst hinzugezogen werden, ist implizit vorausgesetzt, daß die Irrenhäusler "Entartete" sind. Dies ist an sich nur eine Verschärfung jener Rhetorik, die vom kranken Geist der Irrenhäusler spricht. Man sieht daran sehr plastisch die Methode, mit der diese Ideologie und Rhetorik dem Gaskammermorden den Weg bereitet hat. Das zivilisatorisch-moralische Grundprinzip "Du sollst nicht morden" konnte gegenüber angeblich "Entartetem", das nur noch Fleisch, bloße Materie und nicht mehr menschliches und damit rechtliches Subjekt in der Gesellschaft war, verleugnet werden.
b) Pathologisierte Kunst sollte zur Vorbereitung einer ästhetischen Gleichschaltung und "Bereinigung" dienen: Bei einem Sieg der Nazis wären in ganz Europa die Künstler der Moderne den Irren in die Gaskammer gefolgt. Ihre Kunst sollte nur als Beispiel ihrer Unter-Menschlichkeit erhalten bleiben, sozusagen als Peepshow einer ausgerotteten Spezies. An dieser Stell kann man nicht umhin, sich an die menschenzüchtenden Träume Hans Prinzhorns zu erinnern.

Nun muß man sich allerdings fragen: Wie sieht es heute aus? Habe ich Ihnen von einer Geschichte berichtet, die sich auf dem Nazi-Mars zugetragen hat und von uns Heutigen himmelweit entfernt ist? - Wohl kaum. Verwalterin der bösgläubig erworbenen Kunst der sogenannten Prinzhornsammlung ist nämlich niemand anders als die Heidelberger Universitätspsychiatrie. Obwohl sie, wie ich Ihnen bereits dargelegt habe, nie Eigentum an den Werken erwerben konnte.

Die Interpretation der Werke seitens der Heidelberger Universitätspsychiatrie ist allerdings bis heute, trotz allen rhetorischen Leugnens, implizit dem Kontext einer Ideologie der "entarteten Kunst" verhaftet geblieben. Das wird überdeutlich in ihren Katalogen, in denen sich unverändert der Aquariumsblick ihres Apologeten Prinzhorn widerspiegelt:

Sehen Sie sich diese Beispiele aus ihrem letzten Katalog an:

(Bilder werden gezeigt)

Der Künstler dieses Werks wurde mit der Diagnose Paranoia verleumdet. Jenem die Diagnose Schizophrenie aufgezwungen.

Bis heute werden die Werke nicht identifizierter Künstler mit Wörtern wie "Schizophrenie", "Paranoia", "degenerativer Schwachsinn", usw. verleumdet.

Ein Künstler ist namentlich unbekannt, sie bzw. er ist als Person verschwunden, lediglich ein diagnostischer Fall, wie er von der psychiatrischen Profession vor Jahren geschaffen wurde, zählt und ist erwähnenswert.

Es gibt auch nur eine einzige Schlußfolgerung. Sie lautet: Dieses Werk ist schizophren, jenes paranoisch.

Das Kollektiv der sozialen Brüder und Schwestern der Künstler, der Bundeverband Psychiatrie-Erfahrener, hat zwischenzeitlich die Forderung nach Herausgabe oder doch zumindest auf vorrangige und autonome Auswahl von 400 wechselnden Bildern aus der Sammlung für das "Haus des Eigensinns" an die Heidelberger Psychiatrie gerichtet. Die Reaktion war durchweg negativ. Selbst dem als Professor der Universität Heidelberg angehörenden Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber, hat man als Vermittler in einem Gespräch darüber nur die eiskalte Schulter gezeigt.

Denn -und dies ist der zynische Teil des Umgangs der Universitätspsychiatrie mit dem Problem- sie will nun mit den Bildern den früheren psychiatrisch-neurologischen Hörsaal dekorieren. Dokumentiert im damaligen Vorlesungsverzeichnis hat Prof. Carl Schneider, T4-Oberpsychiater, dort gelehrt.

Um es Ihnen plastisch zu machen, ohne an dieser Stelle den Beweis in jedem Detail antreten zu können: Prof. Carl Schneider reiste durch Deutschland, um sich die "Objekte" für seine medizinische "Forschung" auszusuchen. Diese Menschen wurden dann nach Heidelberg gebracht, wahrscheinlich in dem Hörsaal vorgeführt, und anschließend zur Ermordung zum Eichberg gebracht, der damals die Mordabteilung der Heidelberger Universität war. Was dort geschah, war Mord auf Bestellung, bei dem die Opfer anschließend zerteilt und ausgeweidet wurden.

Denken wir noch einmal an den "Aquariumblick". Die den Opfern entnommenen Hirne wurden vom Eichberg wieder nach Heidelberg zurückgebracht und dort "nach Scheider’scher Methode" in Formalin den Studenten vorgeführt. Ich frage Sie: Geht es noch obzöner als exakt in diesem Raum die Werke Psychiatrisierter ausstellen zu wollen?

Das ist das Maximum an Verhöhnung von Opfern, das ich mir überhaupt vorstellen kann.

© René Talbot

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